von Christof Schürmann
Das Kind musste einen Namen haben, und die PR-Leute der Europäischen Kommission haben es „Omnibus“-Initiative genannt. Omnibus bedeutet „für alle“ und soll vermutlich etwas Positives signalisieren. Es geht um eine neue Verordnung der Europäischen Union zur Vereinfachung von Berichtspflichten im Kontext von ESG (Environment, Social, Governance).
Die im November 2024 angestoßene Initiative soll Regelungen aus der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), der Entwaldungsverordnung (EUDR), der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) und der EU-Taxonomie-Verordnung reduzieren. Die Ankündigung ist Teil der Budapester Erklärung zum „Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit“. Es handelt sich um einen Zwölf-Punkte-Plan. Die EU möchte den wirtschaftlichen Wohlstand, die Sicherheit und die Widerstandsfähigkeit Europas in den kommenden Jahren stärken.
Teil des Plans: Im ersten Halbjahr 2025 sollen „konkrete Vorschläge zur Reduzierung der Berichtspflichten um mindestens 25 Prozent“ vorliegen. In einem ersten Schritt verschob die EU die Einführung der Entwaldungsverordnung EUDR um ein Jahr, auf den 31. Dezember 2025. Die EUDR soll sicherstellen, dass bestimmte Rohstoffe und Erzeugnisse nur dann in die EU ein- oder ausgeführt oder bereitgestellt werden dürfen, wenn diese nicht mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen.
Die Verschiebung und Reduzierung von Berichtspflichten verkauft die EU als Wachstumsinitiative. Beides ist aber in Wahrheit ein Eingeständnis einer Überregulierung und eines Regelungschaos.
Das ist in Deutschland besonders groß. Denn die CSRD-Richtlinie, deren Umfang die EU reduzieren will, hat hierzulande bisher nicht einmal Gesetzeskraft erlangt.
Die CSRD zurrt strenge Regeln fest, wie Unternehmen über ihre Bemühungen zur CO2-Reduktion zu berichten haben. Zusätzlich fordert sie Angaben zu Sozialem und Unternehmensführung. In Deutschland dient das Handelsgesetzbuch (HGB) als gesetzliche Basis, in das die Richtlinie eingepflegt wird. Spätester Stichtag wäre eigentlich der 6. Juli 2024 gewesen. Seit dem 1. Januar 2024 wäre die CSRD rückwirkend anzuwenden. Das bedeutet, dass vom Jahr 2025 an zu erstellende Geschäftsberichte die Richtlinie zwingend hätten berücksichtigen müssen.
Dabei geht es den Vorgaben der Richtlinie nach stufenweise voran. Betroffen sind zunächst alle Unternehmen, die bereits unter die sogenannte Non-Financial Reporting Directive (NFRD) fallen und deshalb eine sogenannte nicht-finanzielle Berichterstattung leisten müssen. In der EU sind das 11.700 große Unternehmen, die sich – vermutlich – alle auf den Richtlinienwechsel vorbereitet haben. Die im Januar 2023 von Seiten der EU verabschiedete CSRD löste die NFRD ab. Inhaltlich gelten für die Umsetzung der CSRD die European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die die EU pünktlich zum 1. Januar 2024 eingeführt hatte.
Längst ist klar, dass die CSRD mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und anderen Richtlinien wie der CSDDD, einer Verordnung, die Unternehmen verpflichtet, Umwelt- und soziale Schäden in Lieferketten zu identifizieren und zu mildern, kollidiert, und sie sich in Teilen doppelt.
Am 17. Dezember 2024 verfasste die Rumpfbundesregierung ein Schreiben an die EU-Kommission mit der Bitte, die CSRD abzuschwächen. Unter anderem sollen nicht-börsennotierte Kapitalgesellschaften, die nach der CSRD von 2026 an für das vorherige Geschäftsjahr offenlegungspflichtig sind, erst von 2028 an berichten müssen. Zudem sollten die Schwellenwerte für diese Unternehmen analog zur CSDDD auf Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern und 450 Millionen Euro Jahresumsatz angehoben und die Anzahl an berichtspflichtigen Datenpunkten reduziert werden.
Diese wohlgemeinten Vorschläge dürften, wenn auch sinnvoll, eher zu noch mehr Unsicherheit beitragen. Alle Unternehmen in der EU, die entweder verpflichtend oder freiwillig die CSRD erfüllen möchten, stehen in diesem Januar ohnehin vor noch unbekannten Änderungen, die die „Omnibus“-Initiative mit sich bringen soll. In Deutschland kommt hinzu, dass die CSRD zwar noch nicht gilt, von internen und externen Stakeholdern wie Gläubigern oder von Shareholdern die dort geforderten Informationen aber möglicherweise gewünscht sind oder aufgrund eines anderen Regulierungsrahmen benötigt werden. Bei der Vernachlässigung von ESG-Kriterien drohen Unternehmen beispielweise höhere Kreditzinsen.
Doch selbst wenn deutsche Unternehmen freiwillig, ohne gesetzliche Basis, die CSRD anwenden, kommen sie nicht umhin, die alte nicht-finanzielle Berichterstattung nach NFRD fortzuführen. So zumindest die Lesart des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW), an der sich die Prüferbranche orientiert. Das ist ein Nachteil gegenüber Unternehmen aus Ländern wie Frankreich und Italien, bei denen die CSRD-Richtlinie Gesetzeskraft hat und damit eine einzelne Regelung. Zudem kostet die zusätzliche Berichterstattung Zeit und Geld. Und sie trägt zum sogenannten „Information Overload“ bei. Der Umfang der Berichte überfordert ihr Publikum, deren Wahrnehmung für möglicherweise wichtige Informationen sinkt.
Untätig blieben Wirtschaftsprüfer in Deutschland, die schon den Bleistift gespitzt haben, um die Umsetzung der CSRD gemäß den ESRS Brief und Siegel zu erteilen. Denn die bisherige und laut IDW-Einschätzung weiterhin von Unternehmen zu leistende nicht-finanzielle Berichterstattung (NFRD) unterliegt keiner externen (materiellen) Pflichtprüfung, im Gegensatz zu den ESRS.
Allerdings liegt der Teufel wie immer im Detail. So hat das für Bilanzierungsfragen zuständige Deutsche Rechnungslegungs Standards Commitee (DRSC) in einem Briefing Paper am 18. Dezember 2024 Auswege aufgezeigt, inwieweit Unternehmen die alte, aber in Deutschland eben noch nicht abgeschaffte nicht-finanzielle Erklärung mit den ESRS in ihren Geschäftsberichten verknüpfen können. Dies sei vor allem dann notwendig, wenn Unternehmen Tochtergesellschaften in einem EU-Land, in dem die CSRD fristgerecht eingesetzt wurde, besitzen. Und grundsätzlich verweist das DRSC darauf, dass die betroffenen Unternehmen sich längst auf die CSRD/ESRS vorbereitet hätten und eine Rolle rückwärts kaum mehr möglich sei. „Eine Rückkehr zur bisherigen Form der Berichterstattung (nichtfinanzielle Erklärung)“ sei „oftmals faktisch nicht mehr möglich“, heißt es im Briefing Paper des DRSC. Das IDW wiederum veröffentlichte praktisch auf den letzten Metern, am 20. Dezember, ein 46-seitiges Paper „F & A zur verspäteten Umsetzung der CSRD“.
Ob de jure oder de facto: Die Einführung der CSRD ist grundsätzlich teuer. Das illustriert der vom Statistischen Bundesamt (Destastis) erhobene Bürokratiekostenindex (BKI). Im Juli, zum Stichmonat für die Verabschiedung der CSRD, stieg der BKI im Vergleich zum Vormonat um 2,4 Prozent – und damit so stark wie noch nie (Abbildung 1).