In den 1970er Jahren dachte man, die japanischen Autobauer seien wegen der strategischen Industriepolitik weltweit führend. Erst später entdeckte man, dass der wahre Grund in unternehmerischen Innovationen lag. Daraus sollte man für heute lernen.
Chinesische Exporte setzen die deutsche Automobilindustrie mächtig unter Druck. Marken wie BYD, Geely und Xpeng drängen auf den deutschen Markt und bieten E-Autos zu Preisen an, die für deutsche Hersteller kaum erreichbar scheinen. Noch greift der deutsche Kunde nur zögerlich bei chinesischen Automobilen zu, aber die Bedrohung für die heimischen Hersteller wird zunehmend real.
In den Führungsetagen der Unternehmen läuten bereits die Alarmglocken. VW-Markenchef Thomas Schäfer ließ verlauten, VW sei nicht mehr wettbewerbsfähig.1 Auch die Politik hat sich in Stellung gebracht. Von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist zu hören, dass sie Strafzölle auf chinesische Automobile erwäge, um die europäische Industrie vor dem unfairen Wettbewerb zu schützen.2
Sollte die Politik eingreifen, um die heimischen Unternehmen, die Absatzmärkte und die hiesigen Arbeitsplätze vor der chinesischen Konkurrenz zu schützen?
Um ein besseres Bild für eine Antwort auf diese fundamentale Frage zu bekommen, blicken wir in unserem zweiten Beitrag unserer Reihe zur Automobilindustrie auf die 1970er und 1980er Jahre.
Damals erfuhr die japanische Automobilindustrie einen beispiellosen Aufstieg und feierte Exporterfolge auf den amerikanischen und europäischen Absatzmärkten. Japan galt in dieser Zeit als ein Musterbeispiel langfristiger, strategisch motivierter Industriepolitik und damit dem Westen als strukturell überlegen. Die hiesigen Hersteller befürchteten, durch die „japanische Bedrohung“ unterzugehen.
Die japanische Politik, insbesondere das japanische Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI) prägten die Entwicklung der japanischen Automobilindustrie maßgeblich. Die entscheidenden Gründe für die internationale Konkurrenzfähigkeit entwickelten sich jedoch gegen die Vorstellungen der japanischen Politik. Zwar leistete der Staat Starthilfe, er konnte jedoch nicht vorhersehen, welchen Weg die Industrie langfristig einschlagen musste, um international führend zu werden.
Die eigentliche Ursache des japanischen Wettbewerbsvorteils lag im Toyota Produktionssystem (TPS), seit 1988 im Westen auch bekannt als Lean Production (dt. schlanke Produktion). Die Kernelemente des innovativen Produktionsprozesses sind die kontinuierliche Verbesserung (Kaizen), bedarfsgerechte Anlieferung und Produktion (Just-in-Time), Vermeidung von Verschwendung (Muda). Das TPS war wesentlich besser geeignet, die dynamische Kundennachfrage der internationalen Absatzmärkte zufriedenzustellen als die ansonsten noch vorherrschende Massenproduktionsweise des Taylorismus. Das TPS und später die westliche Adaption Lean Production stellten eine fundamentale Innovation nicht nur in Bezug auf Produktionsprozesse, sondern auf die gesamte Führung und Organisation von Industrieunternehmen dar.
In den USA und Europa erkannte man in den 1970er Jahren zunächst nicht die wahren Gründe der eigenen Unterlegenheit und machte einen „unfairen Wettbewerb“ in Form einer staatlichen Steuerung als Grund für den Exporterfolg der japanischen Hersteller aus. Die Reaktion in den USA und Teilen von Europa bestand aus einer protektionistischen Handelspolitik, welche die heimischen Hersteller gegen die japanische Konkurrenz schützen, sowie Arbeitsplätze und Absatzmärkte sichern sollte.
Die staatliche Intervention hatte zur Folge, dass notwendige Anpassungen in den Unternehmensstrukturen und Produktionsprozessen der amerikanischen und europäischen Hersteller vernachlässigt wurden. Der Protektionismus minderte den Innovationsdruck und schwächte die Marktstellung der europäischen und amerikanischen Hersteller.
Auch wenn es zwischen der damaligen japanischen Bedrohung und der heutigen chinesischen Bedrohung Unterschiede gibt, sollte man die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.