Der Jesuitenorden könnte die wohl reichste Bruderschaft der Welt sein, hätte sie nur an ihrem wesentlichsten Aktienengagement festgehalten. In den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts nannten sie 51 Prozent an der Bank of America ihr Eigen. Ein Anteil der heute rund 120 Milliarden Dollar schwer ist. Doch sind die größten Anteilseigner längst andere: allen voran mit der Berkshire Hathaway Holding von Warren Buffett ein Prediger des Kapitals ohne religiösen Dünkel.
Ob der bekannteste Investor der Welt aber gerade so glücklich ist mit seinem Paket, das gut 13 Prozent Anteil an der zweitgrößten Bank der USA repräsentiert? Zumindest der Kursverlauf spricht dagegen. 40 Prozent liegt der Börsenpreis der Bank of America unter dem Zwischenhoch von Anfang 2022. Über rund sechs Jahre hat sich mit der Aktie abgesehen von Dividenden per Saldo nichts verdienen lassen.
Die Entwicklung überrascht. Nach einer weit verbreiteten Auffassung sollten die Banken eigentlich die Gewinner der rasanten Zinserhöhungen der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) sein. Nicht nur sollten sie von der Ausweitung der Zinsspanne (der Differenz zwischen Kredit- und Einlagenzinsen) profitieren, sondern sie können auch satte und risikolose Einnahmen aus ihren in der Zeit des „Quantitative Easing“ geschaffenen Überschussreserven einstreichen. Denn die Fed verzinst ihre Einlagen gerade mit 5,375 Prozent. Auf die bei der Fed zuletzt 3.276 Milliarden geparkten Dollar macht das gut 176 Milliarden Dollar an risikolosen Einnahmen pro Jahr aus, sollte die Zinsrate über wenigstens zwölf Monate konstant bleiben. Eigentlich wäre das ein Grund zum Jubeln. Doch die verhaltene Entwicklung der Bankaktien deutet darauf hin, dass Investoren weniger die Gewinn- und Verlustrechnung im Blick haben, sondern vielmehr die Bilanzen. Hier, so hat es bei Banken ungute Tradition, schlummern Risiken.
Als ein Argument für die Kursschwäche der vergangenen 24 Monate bei der Bank of America etwa gilt, dass sie führend bei einer Bilanzposition ist, die der Internationale Währungsfonds als einen key risk indikator (KRI) bei Banken ausmacht. Es geht um Wertpapiere, die Banken in einer speziellen Position ihrer Bilanz buchen: der Kategorie Held-to-Maturity (HTM).
Auffällig ist, dass sich seit dem Corona-Einbruch an den Märkten im Frühjahr 2020 und der nachfolgenden Zinswende die dort geparkten Anlagen der US-Banken auf zuvor unbekannte Niveaus erhöht haben. Nach letzten verfügbaren Daten per 30. September lagen die HTM-Anlagen bei 2.540 Milliarden Dollar, und damit um gut 150 Prozent höher als noch im Sommer 2020. Über 15 Jahre haben sie sich sogar mehr als verzehnfacht (Abbildung 1).
Wenig Zweifel bestehen daran, dass die Finanzchefs der Banken hier bilanzpolitische Spielräume ausgenutzt haben, um das Eigenkapital nicht zu belasten. Denn mit jeder Veränderung der Marktzinsen verändert sich auch der Wert ihrer Anlagen. Diese Veränderung schlägt sich eigenkapital-wirksam bei Held-to-Maturity erst bei einem Verkauf nieder. Die Versuchung, mit einer Umbuchung in diese Kategorie das Eigenkapital zu schonen, dürfte also groß sein.
Aktuelle Verluste sind dabei im Wesentlichen auf den Anstieg der Zinsen zurückzuführen, der den Marktwert von Anleihen deutlich verringert hat. Dazu kommen etwa schwächere Bonitäten der Schuldner, die unter Umständen ebenfalls auf die Marktwerte drücken.
Und dabei geht es nicht mehr um eine Handvoll Dollar. Selbst während der Finanzkrise waren die Buchverluste der Banken in aus zur Veräußerung verfügbaren (Available-for-Sale/AFS) und bis zur Fälligkeit gehaltenen Wertpapieren (Held-to-Maturity/HTM) kaum der Rede wert.
Doch der Crash am Rentenmarkt, der nahezu alle Anleiheanlagen im Bestand um zweistellige Prozentsätze gedrückt hat, zeigt Verwüstungen in den Bankbilanzen. Bekanntermaßen hatten im Frühjahr bereits die drei US-Regionalbanken Silicon Valley Bank, First Republik Bank und Signature Bank dem Sturm nicht standgehalten. In Europa knickte die Credit Suisse (aus etwas anders gelagerten Gründen) ein und musste mit der UBS zwangsverheiratet werden.
Damit sind die Probleme im (US)-Bankensektor aber möglicherweise nicht vom Tisch. Nachdem nun die jüngsten Quartalsberichte per 30. September durchgängig vorliegen, zeigt sich jedenfalls zumindest auf den ersten Blick ein düsteres Bild.
Die nicht realisierten Verluste aus zur Veräußerung verfügbaren und bis zur Fälligkeit gehaltenen Wertpapieren beliefen sich im dritten Quartal auf insgesamt 683,9 Milliarden Dollar. Sie lagen damit um 22,5 Prozent höher als im Vorquartal. In der besonders kritischen HTM-Kategorie lagen die Buchverluste bei zuletzt 390,5 Milliarden Dollar.